frontend.im_anschluss_x. Petra Nachtmanova, Maviş Güneşer und Gizem Oruç
frontend.im_anschluss_x. Petra Nachtmanova, Maviş Güneşer und Gizem Oruç
frontend.im_anschluss_x. Cornelia Lund und Holger Lund
Von Yuriy Gurzhy
Von Dr. Eckehard Pistrick
Wie übersetzen sich Erfahrungen von Entwurzlung, sozialem Verlust und Nostalgie in Klang? In welcher Art und Weise kommentieren Klangereignisse und Stille das Spannungsfeld zwischen Abwesenheit und Anwesenheit, inwieweit stellt musikalische Kreativität eine Verarbeitungsstrategie für Migrationstraumata dar? Wie korrespondieren Klangwelten mit der Idee des Transkulturalismus? Welche Rolle können Sounds im kulturellen Vermittlungsprozess zwischen „Heimat“ und „Diaspora“ spielen? Inwieweit generiert menschliche Mobilität künstlerische Kreativität und welches subversive Potential steckt in ihr?
Die Reihe Klang, Bewegung, Migration, kuratiert vom Musikethnologen Dr. Eckehard Pistrick, fokussiert auf die Schnittstellen von Musik, Migration und Identität. Die Veranstaltungen laden dazu ein, zusammen mit Musiker*innen, Klangkünstler*innen, Aktivist*innen und Musikwissenschaftler*innen auf die musikalischen Spuren von Migrationswegen zu hören und den Klang transkultureller Lebensformen zu erforschen.
Eckehard Pistrick forscht und lehrt seit 2009 als Musikethnologe an der Martin-Luther-Universität Halle zu den Themenfeldern Musik und Migration. Darüber hinaus arbeitet er als Journalist, Kurator, Konzertmanager, Regisseur und Hörfunkautor. Zu seinen Publikationen zählt die Monographie Performing Nostalgia – Migration Culture and Creativity in South Albania (Ashgate, 2015). 2016 wirkte er an der inhaltlichen Gestaltung des Albanischen Pavillons auf der Venedig Biennale 2016 mit.
frontend.im_anschluss_x. Volker Zander
„Die lebenden Toten” – mit diesem Begriff beschreiben die Menschen in Albanien oft ihre ausgewanderten Landsleute. Migration hinterlässt soziale und kulturelle Fehlstellen, denen Familien und Gesellschaften wiederum kulturell begegnen. Die Veranstaltung thematisiert anhand von wissenschaftlichen Fieldrecordings, kommerziellen Musikvideos und zeitgenössischen Schallplatten musikalische Strategien der Verarbeitung von Entwurzlung, Trennungsschmerz und Heimweh. Der Musiker und Komponist Volker Zander spricht mit Kurator Eckehard Pistrick über seine Erfahrungen mit Musik als migrantische und diasporische Kunstform, über seine Arbeit als Verleger für den albanischen Pavillon auf der diesjährigen Architektur Biennale in Venedig, und über die Frage, wie sich Musik im postdigitalen Zeitalter verbreitet und welche besondere Rolle die Vinyl-Schallplatte dabei spielt.
Volker Zander (geboren 1968 in Fulda) ist Diplom-Stadtplaner und arbeitet seit 2011 als Komponist, Musiker und Autor in Köln. Zwischen 1998 und 2012 war er Bassist der amerikanischen Rockgruppe Calexico. Seit 2005 betreibt Volker Zander das Label für Künstlerschallplatten Apparent Extent.
The Passenger
frontend.im_anschluss_x. Barbara Klein und Simone Merli
Im April 2011 nahm das Soundwalk Collective ausgerüstet mit long-distance Antennen und Soundscannern von einem Haus in Tanger aus Frequenzen entlang der Straße von Gibraltar im Umkreis von 40 Meilen auf. Das Resultat ist eine Sammlung von Klangfragmenten, die durch „Sound Fishing” entstanden sind. Die Videokünstlerin Barbara Klein begleitete dieses Klangtagebuch durch Film- und Fotoaufnahmen und eröffnet so eine Reflektionsebene, um über die Abstrahierung und Stilisierung von Migrationsereignissen und über menschliche Existenz in einem Niemandsland nachzudenken.
Simone Merli, Mitglied des Soundwalk Collective (New York) und die Multimediakünstlerin Barbara Klein geben exklusive Einblicke in eine aktuelle Medienarbeit des Soundwalk Collective: Das Exil Projekt basiert auf The Passenger, einem Multimedia Projekt über die Wasserstraße von Gibraltar zwischen Tarifa und Tanger, die Spanien und Marokko, aber auch Europa und Afrika voneinander trennt.
Barbara Klein ist eine polnische Multimedia- und Videokünstlerin. Sie lebt in Berlin. Zwischen 2011 und 2014 arbeitete sie als Videodesignerin und Fotografin mit dem Techno-Guru Richie Hawtin zusammen. Sie begleitete dessen globale Konzerttouren mit Filmtagebüchern und konzeptuellen Filmen. Mit dem Soundwalk Collective hat sie für das Passenger-Projekt zusammengearbeitet.
Simone Merli ist Gründungsmitglied der New Yorker Künstler*innengruppe Soundwalk Collective, die als „Klangnomad*innen” seit 2000 an einer klanglichen Vermessung der Welt arbeiten. Mit unterschiedlichen künstlerischen Fragestellungen haben sie sich in die Arabische Wüste, ins Schwarze Meer und zuletzt in den Regenwald des Amazonasgebietes gewagt, eine Expedition, die 2016 in einer Installation auf dem New Yorker Times Square mündete. Das Soundwalk Collective hat u.a. mit Patti Smith zusammengearbeitet und stellt seine Werke regelmäßig international aus.
Transatlantische griechische Klänge
frontend.im_anschluss_x. Panos Panopoulos
Ein Flohmarkt in Athen. 19 selbst aufgenommene Acetat-Schallplatten. Ein Künstler und ein Anthropologe. Dies sind die Protagonisten einer abenteuerlichen Klangreise. Der griechische Klangkünstler Panos Charalambous und der Klanganthropologe Panos Panopoulos entdeckten und hörten die Platten eines griechischen Migranten in den USA, der Nachrichten in Tonform in seine alte Heimat schickte. Dies war der Ausgangspunkt einer labyrinthischen Suche nach den Orten und Menschen, zu denen diese Klänge gehörten. Eine abenteuerliche Reise in die Zwischenräume zwischen Klang und Erinnerung führte die beiden bis in das Bergdorf Roino auf der Peloponnesischen Halbinsel. Dort trafen die Künstler Verwandte der Menschen, die diese Klangpostkarten vor mehr als einem halben Jahrhundert erhalten hatten. Die Hörbeispiele mit gesungener Dichtung, nostalgischen Klarinettenklängen und verzweifelten Totenklagen und präsentieren ein seltenes Dokument migrantischen Daseins.
Der Klangarchäologe Panos Panopoulos aus Lesbos spricht mit Kurator Eckehard Pistrick über seine Arbeit Klangpostkarten – Griechische Klänge beiderseits des Atlantiks.
Panos Panopoulos ist Assistenzprofessor für Anthropologie an der University of the Aegean in Mytilini, Griechenland. Er war Visiting Scholar an der Princeton University und an der University of California, Berkeley. Panopoulos ist ein anerkannter Spezialist für Themen der Klanganthropologie und der Performanz von Klang. Seine ethnographischen Veröffentlichungen beschäftigen sich mit dem Symbolismus von Klang und Hören im modernen Griechenland, speziell mit Tierglocken. Panos Panopoulos arbeitete eng zusammen mit Steven Feld, dem Begründer der soundscape studies und veröffentlichte mit ihm gemeinsam das Buch Skyros Carnival (2011). Er ist außerdem an verschiedenen interdisziplinären Projekten wie Fonés (2011-2016) beteiligt und hat Forschungen über die Community der Gehörlosen in Griechenland initiiert.
Kreativprozesse migrantischer kongolesicher Musiker*innen
frontend.im_anschluss_x. Eugenio Giorgianni
bi’bakaudio #04 widmet sich der kongolesischen Populärmusik über zwei Kontinente hinweg. Goma (Demokratische Republik Kongo): Kreativität in einer Region mit 30 Jahren Bürgerkrieg. Melilla (Spanisch Nordafrika): Lieder in der Alltagsroutine einer Flüchtlingshaftanstalt. London: Kongolesische Musik als Teil einer afrikanischen Musikszene zwischen Kosmopolitanismus und Fashion Hype.
Zwischen diesen drei Orten entfaltet sich die Lebensgeschichte der kongolesischen Musiker Emerson und Mulele Matondo Afrika. Die Präsentation verfolgt ihre kreativen Strategien des Musikmachens „on the move”. Klang als Überlebenswerkzeug, als übernatürliche Eingebung, als Werkzeug zum Transport radikaler politischer Ideen und als kommerzieller Lockstoff für ein internationales Publikum. Der Filmemacher und Musikwissenschaftler Eugenio Giorgianni präsentiert Bilder, Klänge und halluzinogene Musikvideos aus einer sechsjährigen kollaborativen Feldforschung.
Eugenio Giorgianni ist Filmemacher und Postdoktorand der Musikwissenschaft an der University of London, Royal Holloway. Er studierte Kulturanthropologie in Palermo und Visuelle Anthropologie am Granada Center for Visual Anthropology, Manchester. Bei seinen Feldforschungen in Italien, Spanien, Marokko und in der Demokratischen Republik Kongo experimentiert er mit kollaborativen Ansätzen u.a. im Musikvideobereich. Er ist Mitglied von War Toy und The Big Tree Collective.
Tschernobyl, die Ostukraine und die Klänge der Entwurzelung
frontend.im_anschluss_x. Mariana Sadovska
Tschernobyl ist ein Ort klanglicher Abwesenheiten. Nach der überstürzten Evakuierung der Bewohner*innen von Pripyat 1986 kam das Alltagsleben dort zum Stillstand. Mariana Sadovska hat in dieser kontaminierten Gegend über 25 Jahre Feldforschung betrieben und Lieder derer aufgenommen, die zurückgeblieben sind. Ihre Aufnahmen sind eine unschätzbare Quelle für die Erforschung der klanglichen Auswirkungen von Katastrophen, Zwangsumsiedlung und sozialer Trennung. Sie bildeten auch den Ausgangspunkt für ihre eigenen musikalischen Kreationen wie die Musik zum Theaterstück Sklavi – Song of a Migrant (Regisseur: William Docolomanski), das Liederprojekt Just not forever mit ihrer Band Borderland, und jüngst die Musik für das surreale Immigrationsstück Adapt! für das Wilma Theater in Philadelphia. Eine aktuelle Arbeit Sadovskas befasst sich mit den kulturellen Langzeitfolgen des Ukraine-Konflikts. In ihrem aktuellen Programm The Night Is Just Beginning in dem sie Lieder, Gedichte und Rituale von der Frontlinie des Konflikts mit ihrer eigenen kreativen Musikalität auf dem indischem Harmonium, Piano und iPad mischt, gibt sie diesem menschlichen Drama der Entwurzlung eine Stimme.
Mariana Sadovska ist eine ukrainische Musikerin, Musikwissenschaftlerin und Theaterkünstlerin. Sie wurde mit ihrer experimentellen Band Borderland bekannt, in der traditionelle Klänge ihrer ukrainischen Heimat mit Jazz- und Avantgarde-Klängen fusionierten. Bis 2001 war sie musikalische Direktorin des Gardzienice-Theaters in Polen. 2013 erarbeitete sie für das Kronos-Quartett eine Komposition über den Tschernobyl-GAU. 2006 erhielt sie den Creole-NRW Preis im Bereich Weltmusik, 2013 den Deutschen Weltmusikpreis RUTH.
Die Elektrifizierung der türkischen Volksmusik
frontend.im_anschluss_x. Cornelia Lund, Holger Lund und Dr. Eckehard Pistrick
Bob Dylan stand 1965 im Zentrum der „Electric Dylan Controversy“, bei der Bob Dylan anlässlich der Elektrifizierung seiner Musik Verrat an der Folkmusik und deren politischen Idealen vorgeworfen wurde. Im selben Jahr, 1965, schrieb die türkische Zeitung Hürriyet einen sehr populären Songwettbewerb aus, genannt das „Goldene Mikrofon“. Aufgabe war es, einen türkischen Folksong in westlichem Stile zu re-arrangieren und aufzuführen. Für die Verwestlichung stand vor allem die Elektrifizierung traditioneller Instrumente oder der Einsatz neuer elektrischer und elektronischer Instrumente der Pop-Musik. Dies führte zur Entwicklung einer neuen türkischen Musik, Anatolian Rock, die auf eine ganz besondere Weise Land und Stadt, Folk und Rock kombinierte.
Im Fokus dieses Abends steht die Verbindung von ruralen Folksongs und urbaner Elektrizität. Von Verrat war hier an keiner Stelle je die Rede, im Gegenteil: endlich konnte Atatürks Programm einer Ost-West-Musik publikumswirksam umgesetzt werden, Strompolitik auf eine andere Weise betrieben sowie zugleich Folkmusik völlig neu definiert werden.
Cornelia Lund ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin sowie Kuratorin. 2011/2012 übernahm sie die Vertretungsprofessur für „Kunst.Ästhetik.Medien“ an der FH Düsseldorf, derzeit ist sie Mitarbeiterin in einem DFG-Projekt zum Dokumentarfilm (Universität Hamburg). Zudem lehrt sie Designtheorie an der HAW Hamburg. Cornelia Lund ist Co-Herausgeberin von Post-digital Culture (2015) und The Audiovisual Breakthrough (2015).
Zusammen mit Holger Lund leitet sie seit 2004 die unkommerzielle und unabhängige Medienkunstplattform fluctuating images e.V. (Berlin). Cornelia und Holger Lund sind Herausgeber*innen von Audio.Visual – On Visual Music and Related Media (Arnoldsche, Stuttgart 2009) und Design der Zukunft (avedition, Stuttgart 2014).
Holger Lund ist Kunst- und Designwissenschaftler sowie Kurator und DJ. 2008–2011 war er Vertretungsprofessor für Theorien der Gestaltung (Hochschule Pforzheim), seit 2011 ist er Professor für Mediendesign (DHBW Ravensburg). Holger Lund Betreibt das Vinyl-Label Global Pop First Wave.
Eckehard Pistrick forscht und lehrt seit 2009 als Musikethnologe an der Martin-Luther-Universität Halle zu den Themenfeldern Musik und Migration. Darüber hinaus arbeitet er als Journalist, Kurator, Konzertmanager, Regisseur und Hörfunkautor. Zu seinen Publikationen zählt die Monographie Performing Nostalgia – Migration Culture and Creativity in South Albania (Ashgate, 2015). 2016 wirkte er an der inhaltlichen Gestaltung des Albanischen Pavillons auf der Venedig Biennale 2016 mit.